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Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat das Einwilligungsmanagement revolutioniert – und besonders im Vertrieb von Versicherungen spielt die Werbeeinwilligung eine zentrale Rolle. Doch was passiert, wenn ein Versicherungsnehmer (VN) diese Einwilligung widerruft? Die Folgen sind weitreichender, als viele Vermittler vermuten.

 

Das absolute Widerrufsrecht

 

Gemäß Art. 7 Abs. 3 DSGVO kann eine Einwilligung in Werbeanrufe oder Werbe-E-Mails jederzeit formlos und frei widerrufen werden. Entscheidend ist: Der Widerruf wirkt sofort mit Zugang beim Empfänger. Es gibt keine Übergangsfristen, keine „Kündigungsfristen“ und keine Auslaufzeiten. Ein „Darf ich Sie nächste Woche nochmal anrufen?“ ist nach Widerruf genauso unzulässig wie eine verspätet versendete Newsletter-Mail.

 

Praktisch bedeutet dies: Sobald ein Widerruf – sei es per E-Mail, Brief oder sogar mündlich am Telefon – beim Vermittler eingeht, müssen alle werblichen Aktivitäten gegenüber diesem VN sofort eingestellt werden. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn die Einwilligung sowohl dem Versicherungsvermittler als auch dem Versicherungsunternehmen erteilt wurde. In diesem Fall besteht eine wechselseitige Informationspflicht: Beide Parteien müssen sich unverzüglich über den erfolgten Widerruf informieren, um unabsichtliche Rechtsverstöße zu vermeiden.

 

Die Konsequenzen nach dem Widerruf

 

Nach einem Widerruf gilt die einfache, aber strikte Rechtslage: Jede telefonische oder elektronische Werbung an Verbraucher stellt eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) dar und ist damit wettbewerbswidrig. Der VN hat sein „Nein“ erklärt, und dieses Nein ist absolut zu respektieren.

 

Der Begriff der „elektronischen Post“ wird dabei von den Gerichten weit ausgelegt. Er umfasst nicht nur klassische E-Mails, SMS oder MMS, sondern erstreckt sich auch auf Nachrichten über Social-Media-Plattformen wie Facebook oder LinkedIn sowie über Messengerdienste wie WhatsApp oder Signal. Ein „Hallo, wir haben ein neues Angebot für Sie!“ per WhatsApp nach Widerruf ist somit ebenso unzulässig wie ein klassischer Werbeanruf.

 

Die weite Welt der „Werbung“ – mehr als nur Produktwerbung

 

Die größte Gefahr für Versicherungsvermittler liegt in dem extrem weiten Verständnis des Begriffs „Werbung“ durch die Gerichte. Werbung ist nicht nur die direkte Ansprache mit einem neuen Produktangebot. Laut ständiger Rechtsprechung, zuletzt bekräftigt durch den Bundesgerichtshof (BGH), umfasst Werbung jede Äußerung mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder Dienstleistungen zu fördern.

 

Das schließt auch Maßnahmen der mittelbaren Absatzförderung und Kundenbindung mit ein. Die Rechtsprechung hat konkret entschieden, dass folgende Aktivitäten als Werbung einzustufen sind und nach Widerruf unterbleiben müssen:

 

·        Kundenzufriedenheitsbefragungen: Selbst eine scheinbar neutrale Abfrage der Zufriedenheit, die gemeinsam mit einer Rechnung verschickt wird, dient der Kundenbindung und Imagepflege und ist damit Werbung (BGH, Az. VI ZR 225/17).

 

·        „Service-Calls“: Anrufe, die vorgeblich dem Service dienen, aber auch (oder sogar primär) der Überprüfung einer Wechselwilligkeit des Kunden dienen und bei Bedarf ein neues Angebot vorbereiten sollen, sind werbliche Telefonate (OLG Düsseldorf, Az. 15 U 37/19).

 

·        Terminvereinbarungen: Ein Anruf zum Zweck der Vereinbarung eines Termins für einen Vertreterbesuch ist der erste Schritt im Vertriebsprozess und damit werblich (LG Halle, Az. 8 O 94/14).

 

·        Rückgewinnungsversuche: Nach einer Kündigung des VN ist jedes Schreiben, das um Rückruf „wegen offener Fragen“ bittet, ohne dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, als Versuch der Kundenrückgewinnung und damit als Werbung zu werten (OLG Schleswig, Az. 6 U 25/23).

 

·        Akquise neuer Vertriebspartner: Auch das Werben um neue Mitarbeiter oder Vertriebspartner für das eigene Netzwerk fällt unter den weiten Werbebegriff (OLG Karlsruhe, Az. 4 U 168/08).

 

Was bleibt dem Vermittler nach einem Widerruf noch übrig?

 

Die Handlungsoptionen schrumpfen auf zwei klassische Kanäle zusammen:

 

·        Die postalische Zusendung von Briefen.

 

·        Der persönliche Besuch beim Kunden (sofern dieser nicht durch ein „Hausverbot“ o.Ä. ausgeschlossen ist).

 

Alle anderen Kanäle sind tabu. Entscheidend ist, dass der Widerruf der Einwilligung – genau wie die Einwilligung selbst – sorgfältig dokumentiert und aufbewahrt werden muss. Dies dient dem Nachweis im Falle einer späteren Auseinandersetzung.

 

Hohe Risiken und praktische Empfehlungen

 

Die Nichteinhaltung dieser Vorgaben ist kein Kavaliersdelikt. Verstöße gegen das UWG können zu kostspieligen Abmahnungen durch Wettbewerber oder Verbraucherschutzverbände führen. In der Folge drohen strafbewehrte Unterlassungserklärungen und im Eilverfahren einstweilige Verfügungen. Die Kosten für Rechtsverteidigung, Vertragsstrafen und Imageverlust können existenzbedrohend sein.

 

Daher sind robuste interne Prozesse zwingend:

 

·        Sofortige Sperrung: Bei Erhalt eines Widerrufs muss der Kundenstamm unverzüglich mit einem auffälligen und verbindlichen Sperrvermerk versehen werden, der alle Vertriebsmitarbeiter erreicht.

 

·        Systemunterstützung: Die CRM- oder Vertriebssoftware sollte so konfiguriert sein, dass für gesperrte Kunden keine Telefonlisten mehr generiert oder E-Mail-Kampagnen mehr ausgespielt werden können.

 

·        Sensibilisierung und Schulung: Das gesamte Vertriebsteam muss regelmäßig für die Tragweite eines Widerrufs und die weite Definition von Werbung sensibilisiert werden. Service-Mitarbeiter müssen wissen, dass auch ein freundliches „Alles in Ordnung mit Ihrer Police?“ nach Widerruf problematisch sein kann.

 

·        Klare Kommunikation mit Partnern: Bei Zusammenarbeit mit Versicherern müssen klare und schnelle Meldewege für Widerrufe vereinbart werden, um Informationslücken zu schließen.

 

Fazit

 

Der Widerruf einer Werbeeinwilligung ist eine ernstzunehmende Willenserklärung des Verbrauchers. Für Versicherungsvermittler bedeutet er nicht nur das Ende offensiver Akquise, sondern auch den sofortigen Stopp zahlreicher kundenpflegender und servicelastiger Maßnahmen. Die Rechtsprechung definiert den Begriff der Werbung dabei bewusst sehr weit, um Verbraucher umfassend vor unerwünschten Belästigungen zu schützen. Die einzige sichere Strategie liegt in einer lückenlosen Dokumentation, einer sofortigen technischen Sperrung und einer kontinuierlichen Schulung des Vertriebs. Nur so können teure Rechtsstreitigkeiten und Imageschäden vermieden werden. Im Zweifel gilt: Nach einem Widerruf ist Zurückhaltung der beste Weg.

 

Hinweis:  Im Kontext „Krankenversicherung“ ist auch ein Firmeninhaber ausschließlich in seinem privaten Lebensbereich betroffen und gilt damit als Verbraucher.

 

 

Kernaussagen

 

1. Widerrufsrecht:

 

·        Jederzeit formlos und frei widerrufbar (Art. 7 Abs. 3 DSGVO)

 

·        Wirkt sofort ab Zugang der Widerrufserklärung

 

·        Keine Auslauffristen („Kündigungsfrist“) zulässig

 

2. Konsequenzen nach Widerruf:

 

·        Telefon- oder E-Mail-Werbung an Verbraucher wird zur unzumutbaren Belästigung (§ 7 UWG)

 

·        Strikte Einstellung aller werblichen Kontakte erforderlich

 

3. Was als „Werbung“ gilt (sehr weit gefasst):

 

    Jede absatzfördernde Maßnahme, auch Imagewerbung und Kundenbindung

 

    Konkrete Beispiele aus der Rechtsprechung:

 

·        Kundenzufriedenheitsbefragungen (auch mit Rechnungen)

 

·        „Service-Calls“ zur Überprüfung der Wechselwilligkeit

 

·        Terminvereinbarungen für Vertreterbesuche

 

·        Rückgewinnungsversuche nach Kündigungen

 

·        Neukunden- oder Vertriebspartner-Akquise

 

4. Was als „elektronische Post“ fällt:

 

·        E-Mails, SMS, MMS

 

·        Nachrichten über Social-Media und Messengerdienste

 

5. Praktische Folgen für Versicherungsvermittler:

 

    Nach Widerruf nur noch erlaubt:

 

·        Postbriefe

 

·        Persönliche Besuche

 

·        Dokumentationspflicht: Widerruf muss dokumentiert und aufbewahrt werden

 

·        Informationspflicht: Bei gemeinsamer Einwilligung (Vermittler + Versicherer) müssen sich beide unverzüglich über Widerruf informieren

 

6. Risiken bei Verstößen:

 

·        Abmahnungen

 

·        Strafbewehrte Unterlassungserklärungen

 

·        Einstweilige Verfügungsverfahren

 

    Empfehlung: Sperrvermerke im System einrichten, um versehentliche Werbung zu verhindern

 

Zentrale Botschaft: Ein Widerruf der Werbeeinwilligung ist ernst zu nehmen und erfordert sofortiges, vollständiges Ende aller werblichen Kontaktversuche per Telefon oder elektronischer Post. Die Definition von „Werbung“ ist extrem weit gefasst und umfasst auch scheinbar neutrale Servicekontakte.